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Leitartikel zum SprachgebrauchDie Mehrheit redet nicht so, wie es eine Minderheit verlangt

Um den wahren Sprachgebrauch zu erforschen, wäre es nicht das Dümmste, dem Stammtisch zuzuhören.

Unfassbar hoch muss der Elfenbeinturm sein, in dem der Basler Germanistikprofessor Martin Luginbühl lebt. Zu einer grossen Umfrage zum Thema Gendern und Sprachgebrauch befragt, sagt er, es sei «sehr überraschend», wie wenig Schweizerinnen und Schweizer sich an eine Sprache hielten, wie er sie sich wünscht. Er sei schlicht erstaunt, wie oft die Schweizer «hochbrisante» Wörter verwendeten.

Mit «hochbrisant» meint der Professor Wörter wie «Zigeuner», «Eskimo» oder «Mohrenkopf». 

Hochbrisant an der ganzen Sache ist vielmehr, dass Martin Luginbühl offensichtlich keine Ahnung davon hat, wie die Sprache, deren Studium er zu seinem gut bezahlten Lebensinhalt gemacht hat, ausserhalb der akademischen Kreise verwendet wird.

Unbelehrbar und dickköpfig

Die Studie – von Tamedia und «20 Minuten» in Auftrag gegeben und mit über 30’000 ausgewerteten Teilnehmerinnen und Teilnehmern repräsentativ – zeigt, dass rund zwei Drittel der Bevölkerung sich darum foutieren, wenn man ihnen vorschreiben will, ein Wort wie «Asylant» oder «Eskimo» zu vermeiden. Die Schweizerinnen und Schweizer, offenbar unbelehrbar und dickköpfig, sagen voller Überzeugung auch immer noch Krankenschwester statt Pflegefachfrau.

Doch es geht nicht nur um Wörter, die unziemlich sind. In der gross angelegten Umfrage war auch das Gendern ein Thema. Während es mittlerweile gang und gäbe ist, gerade auch in dieser Zeitung, von Ärztinnen und Ärzten zu reden, statt immer nur das generische Maskulinum zu verwenden, erachten – gerundet – nur etwa sechs Prozent der Schweizerinnen und Schweizer den Genderstern oder andere innovative Schreibweisen für sinnvoll. Selbst unter den Jungen findet sich dafür nicht ansatzweise eine Mehrheit.

Zur Veranschaulichung: Sechs Prozent bedeuten: nicht einmal eine (oder einer) von zehn. 

Luginbühl vermutet, dass in privaten Konversationen die Bereitschaft zum Gendern tendenziell tiefer sei als im Arbeitsumfeld. Scharf überlegt, Herr Professor! Nur müsste dieser Gedanke weitergesponnen und auf den Punkt gebracht werden: Im privaten Umfeld getraut man sich heutzutage noch am ehesten, so zu reden, wie man denkt und fühlt. 

Im privaten Umfeld getraut man sich heutzutage noch am ehesten, so zu reden, wie man denkt und fühlt. 

Am Arbeitsplatz dagegen wirkt die Hemmschwelle bereits. Man nimmt sich in Acht, man passt sich an, in der Angst, ja nicht anzuecken. Und man lebte bis zur Publikation dieser Umfrage möglicherweise unter dem Eindruck, man sei in der Minderheit.

Das Gegenteil ist der Fall. Eine überwiegende Mehrheit hält rein gar nichts von solcher Wort- und Sprachakrobatik. 

Es gilt dabei zwei Aspekte zu unterscheiden: falsche oder verbotene Wörter und die Genderdiskussion. 

Zuerst die falschen oder verbotenen Wörter. Kein Mensch begreift, warum der Lastwagenfahrer neuerdings der Strassentransportfachmann sein soll und was genau daran schlimm ist, Krankenschwester zu sagen statt Pflegefachperson. Das sind künstliche Wortgebilde. Sie sind «Schönsprech». Man versucht, mit dem Wort eine Botschaft zu vermitteln. Sie lautet: Alles muss positiv und wertvoll sein, niemand soll sich ausgegrenzt oder betupft fühlen. 

Die Sprache wird verpolitisiert, sie soll einen bestimmten Zweck erfüllen. Die Universität Basel schreibt in ihrem Leitfaden zum internen Sprachgebrauch explizit, der Sprache komme die wichtige Rolle zu, «Haltungen zu vermitteln». Und wer legt fest, welche Haltung vermittelt wird? Wer sich die wissenschaftlichen Arbeiten ansieht, die Professor Luginbühl veröffentlicht hat, stellt schnell fest, wo er – rein politisch gesehen – sein Herz trägt. Rechts ist es nicht.

Unterschwellige Politisierung

Auf diese unterschwellige Politisierung der Sprache reagiert aber, bewusst oder unbewusst, die Mehrheit in der Bevölkerung. Und schert sich dabei einen Deut darum, ob gewisse Wörter nun angeblich falsch oder verboten sind. Auch das ist eine Haltung.

Wer legt überhaupt fest, welche Wörter diskriminierend sind? Der Duden. Und wie kommt er dazu? «Unsere Einordnungen entnehmen wir dem Sprachgebrauch, so wie wir ihn sehen», sagt Kathrin Kunkel-Razum, die Chefredaktorin des Duden, im Interview. Die private gesprochene Sprache vom Stammtisch könne dabei nicht abgebildet werden, sagt sie. 

Wichtig sind dabei die beiden Verben «sehen» und «sprechen»: Abgestellt wird vornehmlich auf die gedruckte Sprache – Bücher, wissenschaftliche Papiere, Presseartikel –, die von einem kleinen, besser gebildeten Teil der Bevölkerung stammt. Also ein erheblich verzerrtes Bild.

Doch statt sich und seine Wissenschaft infrage zu stellen, statt zu reflektieren, was es denn bedeuten könnte, wenn die beratungsresistenten Schweizerinnen und Schweizer umsverworgen nicht so reden, wie sie es bitte schön tun sollen, sieht der Sprachwissenschaftler Luginbühl die Schulen in der Pflicht, «ein Bewusstsein zu schaffen für den Sprachgebrauch».

Lehrer als Sprachpolizistinnen?

Ist das wirklich so? Ist es Aufgabe der Lehrerinnen und Lehrer, sich in Sprachpolizistinnen und -polizisten zu verwandeln, die darüber richten, was man sagen darf und was nicht? Wenn wir in der Geschichte zurückblicken, ist der letzte massive, von ganz oben verordnete Eingriff in den allgemeinen Sprachgebrauch im deutschsprachigen Raum mit schlechten Erinnerungen verbunden.

Ist Verständigung nicht die erste und wichtigste Aufgabe der Sprache? Verständigung, nicht Indoktrinierung.

Zum zweiten Aspekt, dem Gendern. Wie halten wir es damit? Selbstverständlich soll heute auch in der Sprache zum Ausdruck kommen, dass auch Pilotinnen ein Flugzeug sicher von A nach B steuern können und Ärztinnen ein Organ erfolgreich verpflanzen. Aber eine Verunstaltung der Sprache mit Sternen und Doppelpunkten – da ist man sich laut der Umfrage auch bei den Jungen (Alter 18 bis 34) mehr als einig – ist fehl am Platz und unerwünscht. Trotz aller Anstrengungen aus gewissen akademischen Kreisen.

Grundsätzlich lohnt es sich, skeptisch zu werden, wenn eine kleine, sich für auserlesen haltende Gruppe von Menschen allen anderen vorzuschreiben versucht, wie sie zu denken, zu handeln und sogar zu sprechen haben.

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